Jänner 2011
Entkräftung und Wiederauferstehung
Ich bin am Ende meiner Kräfte. Zu viel Arbeit, keine Zeit für mich, keine Lust mehr, überhaupt alles zu viel. Ich bin ein Wrack. Da fällt mir ein Spruch von Louise Hay in die Hände, der sinngemäß besagt: Ich beanspruche jetzt mein strahlendes wahres Wesen. Ja. Schön. Klingt gut. Möchte ich gerne. Ich weiß, mein wahres Wesen ist ein Quell unendlicher Möglichkeiten. Was hält mich davon ab, es zu beanspruchen? Das Gefühl, ein Opfer zu sein. Wenn ich mein strahlendes Wesen beanspruche, diese unendliche Quelle von Kraft und allem, was ich brauche, muss ich auf das Gefühl verzichten, ein Opfer zu sein. Komischer Weise will ich das nicht. Na so was. Ach so, das Gefühl, Opfer zu sein, muss erst gewürdigt werden. Ich muss es überhaupt erst einmal zulassen, mich als Opfer zu fühlen, und kennen lernen, wie sich das anfühlt. Der Körper wird schwach, alles zieht nach unten, die Vorderzähne sind zusammengebissen. Niedergedrückt, schwer, entmutigt und etwas verschlossenes, verbissenes in Mund und Zähnen. Es fühlt sich nach Verweigerung an. Da taucht ein Seufzer auf: ein Gefühl von Jammer. Das Ganze, so spüre ich jetzt deutlich, will wahrgenommen werden, will nicht übergangen und beiseite geschoben werden. Es sagt: Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr.
Am nächsten Tag erlebe ich zu meinem Erstaunen, dass ich mich weniger bestimmen lasse von dem, was an Anforderungen auf mich einstürmt. (durch Telefon, Post, E-Mail). Ohne es mir vorgenommen zu haben, sage ich zu alldem plötzlich: Moment mal. Erst einmal schaue ich, was ich jetzt brauche, damit ich mich wieder wohlfühle. Und schaffe es in erstaunlich kurzer Zeit, mich von dem lustlosen Wrack, als das ich noch am Morgen aufgewacht bin, in eine freudig Schaffende zu verwanden.
Auszug aus dem Buch: Herz öffnen statt Kopf zerbrechen, Safi Nidiaye